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Leben · Lüneburg

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Johann Sebastian Bach und Georg Erdmann treffen im Jahr 1700 an Ostern im Lüneburger Michaeliskloster ein. Ihr neuer Aufenthaltsort ist seit fast einem halben Jahrhundert keine von der weltlichen Umgebung isolierte Einrichtung. Herzog Christian Ludwig ließ das ehemalige Benediktinerkloster 1655 in eine Stiftung umwandeln, zu der neben der Kirche verschiedene Schulen gehören. Allein der Name weist auf den ursprünglichen Zweck der Einrichtung hin. Die Schülerschaft ist heterogen. Die Ritterakademie wird von adeligen Heranwachsenden besucht, es gibt eine bürgerliche Lateinschule und das mit einer Universität vergleichbare Collegium Academicum.

Lüneburg Im Jahr 1700 hat die Stadt Lüneburg ihre Blütezeit bereits hinter sich. Die durch Salz und Handel reich gewordene freie Stadt zählte im fünfzehnten Jahrhundert über 14'000 Einwohner und besaß eine bedeutende Stellung im Bündnis der Hanse. Viele eindrucksvolle Bauwerke Lüneburgs sind Zeugen dieser Zeit. Im Laufe der Jahre schwand jedoch die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Stadt. Der dreißigjährige Krieg und Pestepidemien schwächten die freie Bürgerschaft. Durch zunehmende Verschuldung und eine wieder erstarkenden Fürstenmacht geriet die Stadt zusehends in die Abhängigkeit des Landes. Im Jahr 1700 ist Lüneburg mit ca. 11'000 Einwohnern zwar immer noch größer als Eisenach und Ohrdruf, besitzt aber nicht mehr die Selbstständigkeit und Vorrangstellung der Hansezeit.

Freischüler im Kloster

Signum Johann Sebastian Bach wird als Freischüler im Michaeliskloster aufgenommen. Die Schule vergibt Stipendien an etwa zwölf Knaben und einige ältere Schüler, die die Messen und Abendgottesdienste begleiten. Mit seinem Schulfreund Georg Erdmann wird er dank seiner außerordentlich schönen Stimme den Diskantisten (Sopran) zugeteilt. Dieser Mettenchor ist der Elitechor der Schulkantorei und steht entsprechend begabten Kindern (oftmals Halb- oder Vollwaisen) aus armen Familien offen: "so nichts zum leben, aber gute Stimmen". Die Mettensänger erhalten neben einem kleinen Taschengeld freie Unterkunft im Kloster, kostenlose Verpflegung und Unterricht, und im Winter Brennholz und Talklampen. Um etwas zusätzliches Geld und andere Vergünstigungen zu erlangen, können sie den wohlhabenden Adelssöhnen als Famuli zugestellt werden. Sie hatten den reichen Mitschülern die Schuhe zu putzen, den Tisch zu decken oder für sie Besorgungen in der Stadt zu erledigen.

Orgel von
St. Johannis in Lüneburg Johann Sebastian singt nicht nur im Mettenchor, sondern auch im Chorus Symphoniacus, dem Gesamtchor, der die Hauptgottesdienste an Sonn- und Feiertagen mitgestaltet. Seine Sopranstimme bleibt ihm nicht lange erhalten. Mit Beginn des Stimmbruchs verlegt er sich vom Singen aufs Musizieren und begleitet den Chor auf Violine und Cembalo. Durch diese intensive musikalische Beschäftigung lernt er die Kirchenmusik Norddeutschlands kennen. Ein Instrument hat es ihm schon lange ganz besonders angetan: die Orgel. Die Musikbibliothek des Michaelisklosters ist eine der größten in Deutschland und besitzt mit 1100 Handschriften von etwa 200 Komponisten eine umfangreiche Sammlung sakraler Tonkunst des siebzehnten Jahrhunderts. In der Bibliothek stehen dem 15jährigen Johann Sebastian Orgelkompositionen berühmter Meister wie Johann Caspar Ferdinand Fischer, Johann Jacob Froberger, Johann Kaspar von Kerll, Heinrich Scheidemann, Samuel Scheidt und Jan Pieterszoon Sweelinck offen. Bach liest und spielt sie nicht nur, er legt sich ein eigenes Notenbuch zu und schreibt sie ab.

In Lüneburg wirken zu Bachs Schulzeit zwei große Organisten: In der Nikolaikirche spielt Johann Jakob Löwe (1629-1703), in der Johanniskirche Georg Böhm (1661-1733). Der - wie Bach - aus Thüringen stammende Böhm ist ein Schüler des berühmten Hamburger Improvisationskünstlers Johann Adam Reincken und hat seit 1698 das Organistenamt inne. Sein Einfluß auf den heranwachsenden Johann Sebastian ist bedeutend. Bach schätzt Georg Böhm sehr und läßt sich von ihm von der Musik Reinckens vorschwärmen. Böhm ist es, der Bach zu einer Reise nach Hamburg motiviert. In der Hamburger Catharinenkirche hört Johann Sebastian den bereits 77jährigen Reincken über den Choral "An den Wasserflüssen Babylon" improvisieren und ist von seinem Orgelspiel zutiefst beeindruckt. Johann Sebastian Bach unternimmt von Lüneburg noch weitere Ausflüge nach Hamburg und Lübeck, um Reincken und anderen Orgelkünstlern zuzuhören - heimlich, denn die Schule würde ihm dafür keinen Urlaub geben. Doch nicht nur in der Musik, sondern auch in der Orgel-Technik bildet er sich weiter. Der Orgelbauer Johann Balthasar Held kommt nach Lüneburg, um die Orgel in der Michaeliskirche zu modernisieren. Bach nutzt diese Gelegenheit und erhält von Held das Wissen vermittelt, welches ihn später zu einem der besten Sachverständigen dieses Instruments machen wird.

Wie die Ohrdrufer Lateinschule wird das Michaeliskloster streng lutherisch geführt. Die Schüler werden zu unbedingtem Gehorsam, Fleiß, Bescheidenheit und Frömmigkeit erzogen. Als Johann Sebastian Bach in die Prima versetzt wird, stehen neben Latein, Griechisch, Theologie, Logik, Rhetorik und Philosophie auch die Kunst des Versedichtens auf dem Lehrplan. Außerdem wird er an der benachbarten Ritterakademie in der französischen Kultur unterwiesen, deren Kenntnis Voraussetzung für den Umgang bei Hofe ist. Johann Sebastian lernt die Sprache Ludwigs XIV, die Kunst der Konversation, er erhält Tanzunterricht und übt sich in der "Verfertigung netter Briefe". Ob Johann Sebastian in seinen Lüneburger Jahren je nach Celle gereist ist, um die französisch beeinflußte Musik am Hofe von Herzog Georg Wilhelm von Celle-Lüneburg zu studieren, ist nicht gesichert. Sein Tanzlehrer Thomas de la Selle kam jedenfalls aus dieser Stadt.

Hochschulreife

Mit der Bestätigung der Hochschulreife im Jahr 1702 ist der fast 18jährige Johann Sebastian Bach mit seiner Schulausbildung fertig und hat genug gelernt, um in den Musikerberuf einzutreten. Schon in der Lüneburger Zeit zeigt sich sein Lebenskonzept: Er zieht zwar die Schulausbildung einer Handwerkerlehre vor und hält sich damit wichtige Karrieremöglichkeiten offen, doch viel wichtiger als die Schulbank zu drücken ist ihm, an seinem musikalischen Können zu feilen. Er ist ein Autodidakt und Selfmademan, der nach oben will und viel dafür arbeitet.

Der genaue Termin von Bachs Weggang aus Lüneburg ist unbekannt. Vieles spricht jedoch dafür, dass er das Michaeliskloster nach zwei Jahren im Sommer 1702 verläßt.

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