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Leben · Köthen

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KöthenDie Wurzeln der Stadt Köthen liegen im 12. Jahrhundert; erstmalig erwähnt wird sie als Civitas (befestigte Ansiedlung mit Stadtrecht) im Jahr 1313. Dreihundert Jahre später ist Köthen Sitz der "Fruchtbringenden Gesellschaft". Diese Barocksocietät zur Pflege der deutschen Sprache wurde 1617 als Pendant zur italienischen "Accademia della Crusca" ins Leben gerufen. Innerhalb weniger Jahre wuchs sie auf fast 900 Mitglieder und war damit die größte und bedeutendste Sprachgesellschaft ihrer Zeit. Nach und nach gewannen patriotische Strömungen immer mehr an Bedeutung, 1680 mit dem Tod des dritten Vorsitzenden Herzog August zerbrach die Gesellschaft an diesem Konflikt.

Köthen im Jahr 1717: Mit unter fünftausend Einwohnern ist Köthen etwas kleiner als Weimar und auch nicht ganz so bedeutend. Im fürstlichen Schloss zu Köthen herrscht seit fast drei Jahren der 23jährige Fürst Leopold. Die fürstliche Familie ist für ihre Zeit bemerkenswert weltoffen und tolerant - auch in Glaubensfragen. Leopolds Mutter, Gisela Agnes von Rath ist protestantisch und obwohl der Hof Köthen (und damit auch seine Untertanen) offiziell reformierten Bekenntnisses ist, gibt es neben der reformierten auch eine protestantische Kirche in der Stadt.

Fürst Leopold von Anhalt-Köthen

Fürst Leopold von Anhalt-Köthen Cuius regio, eius religio - Wessen Land, dessen Religion. Nach dieser Tradition legt der Herrscher die Glaubensrichtung seiner Untertanen fest. Diese haben zu folgen. In der, durch die Entstehung neuer Konfessionen geprägten Reformationszeit gewann die alte Regel wieder an Bedeutung und gilt unverändert im Barock. Wie Bach bereits in Mühlhausen erfährt, kann selbst ein Streit zwischen sehr ähnlichen Konfessionen, wie den Pietisten und den orthodoxen Lutheranern mit großem Eifer und langem Atem geführt werden.

Der Kampf der Lutheraner gegen die Reformierten ist hingegen durch weitaus tiefere Gegensätze motiviert. Die reformierte Kirche folgt der Glaubenslehre des Schweizers Johannes Calvin, der sich nicht wie Martin Luther für eine veränderte katholische Kirche, sondern für eine völlig neue, nichtkatholische Kirche einsetze. Sie lehnt alle Traditionen ab, die nicht aus der Bibel stammen. Nur die Heilige Schrift und der Katechismus sind als Worte Gottes zu verstehen. Der Gegensatz zwischen den beiden Konfessionen ist groß und auch der Hass auf Anhänger des jeweils anderen Glaubens. Im nahen Leipzig müssen die Lehrer der Universität bei ihrer Ernennung schriftlich dem Kalvinismus abschwören und erklären, dass "Kalvinisten allesamt Ketzer seien" und das "höllische Feuer verdient" hätten. Doch nicht in Köthen. Der calvinistische Fürst Leopold duldet den protestantischen Glauben, er ist belesen, gebildet und wird als lebensfroher Mensch beschrieben. Außerdem schätzt der die Musik, besucht oft Opernaufführungen und spielt selbst Violine und Cembalo. Johann Sebastian Bach schildert ihn in einem Brief an seinen Schulfreund Georg Erdmann als

einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen.

Kapellmeister

Schloss zu Köthen Signum Am Hof dieses gnädigen Herrn wird Johann Sebastian Bach die nächsten sieben Jahre - von 1717 bis 1723 - als Kapellmeister arbeiten. Im Dezember 1717 zieht er mit seiner Frau Maria Barbara und seinen vier Kindern von Weimar nach Köthen um. Die genaue Adresse ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Entweder wohnen die Bachs direkt im Zentrum am Holzmarkt 12 oder einen Steinwurf nördlicher in der Stiftstraße 11. Im Haus befindet sich auch die "Probierstube", der neue Kapellmeister kann also zu Hause mit dem Orchester proben. Fürst Leopold gibt sich großzügig und bezahlt Bach gleich zu Beginn die vier Monate Lohn, die ihm durch die Kerkerhaft in Weimar entgangen sind. Bachs Gehalt liegt mit über 400 Gulden auf gleicher Höhe wie das Einkommen des Hofmarschalls Gottlob von Nostitz - er hat ein Chefamt inne, im Vergleich zum Lakai in Weimar ein erheblicher sozialer Aufstieg.

Als Kapellmeister leitet Bach eine große Hofkapelle mit vielen ausgezeichneten Solisten, die bei allen höfischen Festlichkeiten aufspielt. Sein Fürst lässt sich sein Orchester einiges kosten und erwartet entsprechend erstklassige Aufführungen. Von drei Musikern des Orchester ist bekannt, dass sie komponieren: Konzertmeister Joseph Spieß, Flötist Johann Heinrich Freitag und Organist Christian Ernst Rolle spielen nicht nur unter Bachs Leitung, sondern schreiben auch eigene Stücke. Die Musikaliensammlung des Fürstens kann sich sehen lassen, sie ist umfangreich und aktuell. Auch Werke im modernen italienischen und französischen Stil sind vorhanden. Jeweils am 10. Dezember zum Geburtstag Leopolds und zum Jahreswechsel führt Bach am Hof besondere Feststücke auf, deren Texte aus der Feder des berühmten Dichters Christian Friedrich Hunold (Menantes) stammen.

Bach unternimmt zahlreiche Reisen. Kaum in Köthen eingezogen, ist er im Dezember 1717 in der Leipziger Paulinerkirche bei einer Orgelprüfung anwesend. Der Ruf, ein exzellenter Gutachter zu sein, eilt ihm weit über die Grenzen Thürigens und Anhalts voraus. Zwei Jahre später fährt er ins ferne Berlin, um für das Orchester ein Cembalo zu erwerben. 1721 hat er ein Gastspiel am Schleizer Hof. Sein Fürst nimmt ihn und das Orchester außerdem auf seine regelmäßigen Kuren nach Karlsbad mit.

Doch auch zu Hause steht die Zeit nicht still: Am 11. November 1718 kommt ein weiterer Sohn zur Welt, Leopold Augustus, der allerdings schon im nächsten September stirbt. Bei seiner Rückkehr aus Karlsbad im Sommer 1720 muss Bach eine weitere schreckliche Nachricht entgegennehmen. Seine Frau Maria Barbara ist während seiner Abwesenheit gestorben und wurde bereits beerdigt. Ihr Begräbnis ist auf den 7. Juli 1720 datiert, über die Ursache ihres Todes oder eine Reaktion Bachs ist nichts bekannt. Jedenfalls lässt er sich nicht beurlauben und hört auch nicht mit dem Reisen auf.

In Weimar und Köthen geborene Kinder:
Catharina Dorothea* 28.12.1708† 14.01.1774
Wilhelm Friedemann* 22.11.1710† 01.07.1784
Maria Sophia
Johann Christoph
* 23.02.1713† 15.03.1713
† 23.02.1713
Carl Philipp Emanuel* 08.03.1714† 14.12.1788
Johann Gottfried Bernhard* 11.05.1715† 27.05.1739
Leopold Augustus* 15.11.1718† 29.09.1719

Im November 1720 trifft man Bach in der freien Reichsstadt Hamburg, wo er sich vielleicht in aller Diskretion um die Stelle als Stadtkantor und "Director musices" bewirbt. Belege dafür gibt es keine, der noch amtierende Kantor Joachim Gerstenbüttel ist jedenfalls alt und krank und das Amt besitzt großes Ansehen. Sein Interesse an einer anderen Stelle ist hingegen aktenkundig: die Aufzeichnungen der Jacobikirche weisen ihn als Bewerber auf das freie Organistenamt aus. Im September ist der bisherige Organist und Küster Heinrich Friese gestorben und Bach wird mit sieben weiteren Bewerbern zum Vorspiel eingeladen. Er improvisiert über den Choral "An den Wasserflüssen Babylon", muss aber vorzeitig abreisen, sein Fürst Leopold ruft ihn nach Köthen zurück.


Die Brandenburgischen Konzerte

In Köthen entstehen Orchesterstücke, Suiten und Sonaten für Kammerorchester, Stücke für Soloinstrumente wie Violine, Violoncello und Klavier und einige wenige Kantaten. Die Nüchternheit der reformierten Kirche lässt Bach wenig Raum für Orgelmusik während des Gottesdienstes.

In Köthen entstandene Werke:
Eventuell sind in Köthen entstanden:

Am 21. März 1721 widmet er dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg aus unbekanntem Anlass eine Sammlung von sechs Konzerten, die er aus bereits in Weimar komponierten Stücken zusammenstellt:

Six Concerts - Avec plusieurs Instruments.
Dediées A Son Altesse Royalle
Monseigneur CRETIEN LOUIS
Marggraf de Brandenbourg
par Son tres-humble & tres obeissant Serviteur
Jean Sebastien Bach,
Maitre de Chapelle de S.A.S: le
Prince regnant d'Anhalt-Coethen

Anna Magdalena Wilckens

Magdeburger Turm in Köthen Im September 1721 übernimmt Bach das Patenamt für den Sohn des fürstlichen Kellerknechts Christian Hahn. Ein Eintrag im Patenbuch ist besonders interessant: "Jungfer Magdalena Wilckens, fürstl. Sängerin allhier".

Man kann nur spekulieren, wo Johann Sebastian Bach seine zukünftige zweite Frau kennenlernt, ihr Name taucht jedenfalls im Juni 1721 zum ersten Mal in den Kirchenbüchern auf, als sie als Gast am heiligen Abendmahl teilnimmt. Die jüngste Tochter des weißenfelsischen Hoftrompeters Johann Caspar Wilcke ist eine erfolgreiche, professionelle Sängern, selbstständig und finanziell unabhängig. Anna Magdalena und Johann Sebastian Bach heiraten am 3. Dezember 1721 - nicht in der Kirche, sondern in kleinem Rahmen zu Hause. Seine Dispens von 10 Gulden will Bach der lutherischen Kirche nicht zahlen, da "die Hochzeit auf fürstlichen Befehl erfolgt wäre". Aufgrund von Geldmangel mag er sich nicht geweigert haben, finanziell geht es dem Paar gut. Fürst Leopold engagiert Anna Magdalena als Sängerin und zahlt ihr 200 Gulden, etwa die Hälfte von Bachs Gehalt. Damit kommen Herr und Frau Bach auf über 600 Gulden. Auch künstlerisch blüht die Ehe: Die beiden musizieren gemeinsam und Anna Magdalena hilft ihm beim Notenschreiben. Im Laufe der Jahre wird ihre Notenschrift der von Bach immer ähnlicher werden.

Das Wohltemperierte Klavier

In Köthen schreibt Bach auch den ersten Teil des wohltemperierten Klaviers, einer Sammlung von Stücken, in denen der Meister der Polyphonie gekonnt durch die verschiedenen Tonarten tänzelt. So weit trieb es niemanden vor Bach durch den Quintenzirkel.

Das Wohltemperirte Clavier.
oder Praeludia, und Fugen durch alle Tone und Semitonia,
So wohl tertiam majorem oder Ut Re Mi anlangend,
als auch teriam minorem oder Re Mi Fa betreffend.
Zum Nutzen und Gebrauch der Lehr-begierigen
Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio
schon habil seyenden besonderem ZeitVertreib
auffgesetzet und verfertiget von
Johann Sebastian Bach.
p.t: HochFürstlich Anhalt-
Cöthenischen Capel-
Meistern und Directore
derer CammerMusiquen.
Anno 1722.

Fürst Leopold hat sich ebenfalls verliebt. Am 11. Dezember 1721, ein paar Tage nach Bachs Hochzeit gibt er der 19jährigen Prinzessin Friederica Henrietta von Anhalt-Bernburg das Ja-Wort. Friederica scheint ihrem Mann so gut zu gefallen, dass er seine Liebe zur Musik vernachlässigt. Der bereits oben zitierte Erdmannbrief geht nämlich folgendermaßen weiter:

einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenißimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey besagtem Fürsten in etwas laulicht werden wolte, zumahln da die neüe Fürstin schiene eine amusa zu seyn.

Bach klingt fast etwas eifersüchtig über den Interessenwechsel seines Herrn. Gekränkt schreibt er nach der fürstlichen Hochzeit nur noch Klaviermusik für zu Hause. Im Jahr 1722 scheint Bach mit dem fürstlichen Hof abgeschlossen zu haben und möchte aus Köthen weg. Neben dem geänderten Musikgeschmack Leopolds kommen auch andere Gründe in Frage. Sicher mag für seine Söhne bessere Studienorte als die hiesigen Schulen geben, vielleicht erinnert ihn Köthen auch zu sehr an Maria Barbara, vielleicht möchte er auch wieder Kirchenmusik machen, vielleicht wird am Hof gegen den stolzen Kapellmeister intrigiert.

Eine passende neue Stelle von hohem Prestige ist jedenfalls schon seit mehreren Monaten unbesetzt: am 5. Juni 1722 starb der Leipziger Thomaskantor Johann Kuhnau. Das Jahr schreitet weiter fort, ohne dass ein Nachfolger benannt wird. Am Ende des Jahres schickt der Rat der Stadt Leipzig einen Abgesandten nach Köthen, um Bach um eine Bewerbung zu bitten. Auf der Wunschliste des Rates steht jedoch ein anderer Kapellmeister auf Platz eins: Christoph Graupner aus Darmstadt. Dieser lehnt ab, danach wird der Leipziger Organist Georg Balthasar Schott zum Probespiel geladen. Am 7. Februar 1723 führt Bach seine Kantate "Jesus nahm zu sich die zwölfe" in Leipzig auf. Am 22. April erhält er schließlich die Zusage, zwei Wochen später wird der Bestallungsvertrag unterzeichnet.

Das Verhältnis Johann Sebastian Bachs zu Fürst Leopold bleibt unbeschadet. Auch nach seinem Weggang aus Köthen darf Bach den Titel "Kapellmeister" weiter tragen und bekommt als Thomaskantor in Leipzig jedes Jahr den Auftrag zum fürstlichen Geburtstag eine Festkantate zu komponieren. Im November 1728, im Alter von 34 Jahren stirbt der Fürst. Mit der Trauermusik "Klagt, Kinder, klagt es aller Welt" (BWV 244a) nimmt Bach von seinem liebsten Dienstherrn Abschied.

Windrose 1723-1750 · Thomaskantor in Leipzig, Teil 1: Kantaten und Ungeziefer (1723-1730)